Bericht über das 11. Symposium Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt

Ende November trafen sich in Witzenhausen bei Kassel etwa fünfzig Mitglieder von Erhaltungsinitiativen und andere Interessierte zum 11.Symposium des Dachverbandes Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt in Kooperation mit dem Tropengewächshaus der Universität Kassel.

Prof. Backes, Uni Kassel eröffnete das Symposium, Andreas Riekeberg moderierte die Veranstaltung.

Prof. Finck, Uni Kassel züchtet neue Sorten aus Landrassen mithilfe von Evolutionsramsche/composite crosses. Populationen mit vielfältigem genetischen Hintergrund, die aber bezüglich wichtiger Eigenschaften (Hochertrag, Qualität, Mechanisierbarkeit...) einheitlich sind, werden partizipativ lokal selektiert. Ausgangssorten sind Kreuzungen der 20 wichtigsten Weizensorten der letzten 50 Jahre in allen Kombinationen. Daraus entstanden drei Populationen, die in UK, F, HU, DK, NL, CH, D jeweils öko und konventionell angebaut wurden. Verglichen wird seit 2008 auch der breitwürfige Anbau ohne mechanische Beikrautkontrolle sowie der Anbau in Reihen mit Beikrautkontrolle durch Hacken. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass es Anpassungen ans Anbausystem gibt. Wenn Weizen zu 100% selbstbefruchtet, müsste man irgendwann nur noch reine Linien im Feld haben; die Anzahl gemischterbiger Allele würde sich bei jeder Selbstung verringern. Ein Test mit Braunrost (keine einheitlichen Reaktionen der Nachkommenschaften, Mischung aus anfälligen und resistenten Blättern) hat jedoch ergeben, dass die Population heterozygoter ist als gedacht; Auskreuzungen finden statt, Vielfalt wird neu kreiert und rekombiniert. Wichtig ist, dass die effektive Populationsgröße ausreichend ist – da z.B. ein Extremwinter die effektive Populationsgröße massiv verringert hat, wurde eine höhere Parzellengröße nötig. Ziel für die Zukunft sollte sein, in der Landwirtschaft vom Pflug und von den inputs wegzukommen. Die Züchtung sollte außerdem unter Konditionen stattfinden, denen die Pflanzen im Anbau ausgesetzt sein werden (z.B. pflugloser Anbau).

Annette Fehrholz, Obst- und Gartenbauverein Bengel, berichtete, dass ein Sortenvergleich zwischen der Bengeler Simon und der Kesselheimer Zuckererbse stattgefunden hat, mit dem Ergebnis, dass es phänologisch wenige, aber deutliche Unterschiede gibt. Prof. Backes berichtete in Vertretung von Dominik Dennenmoser, dass ein genetischer Vergleich, auch mit anderen Erbsensorten dasselbe ergeben hat. Bettina Orthmann vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinland-Pfalz hatte eine Reihe von Erbsensorten phänologisch bewertet. Aus 60 UPOV Merkmalen hatte sie 25 Merkmale ausgewählt und 17 beobachtet. Demnach unterschieden sich Kesselheimer Zucker und Bengeler Simon nur in einem Merkmal. Allerdings hatte sie nach längerer Beobachtung weitere Unterschiede gefunden, die in keiner Merkmalsliste existieren. Sortenbeschreibungen, die nicht für Geistige Eigentumsrechte wie UPOV dienen, sollten einfacher und nutzungsorientierter gehalten und leicht zu verschriftlichen sein. Bettina richtete einen Appell an Interessierte, an Deskriptorenlisten mitzuarbeiten.

Die Tierärztin Jeannette Lange stellte ihren Hof in Wellingerode vor. Ihre Milchkühe waren mehrfach nach Fütterung mit hofeigenem Weizen erkrankt. Die Ursache wurde im Bodenmikroorganismus Clostridium gesehen, deren Präsenz mit hoher Pflanzendiversität deutlich abnimmt. Inzwischen werden Mischkulturen angebaut und verfüttert, die Tiere sind gesünder. Auch ist der Hof mit eigenem Futter und weniger Tieren wirtschaftlicher als zuvor. Seit kurzem wird auch eine Weizen-Populationssorte angebaut. In der Diskussion wird betont, dass der Verkauf als Saatgut für kommerziellen Anbau nur mit Zulassung erfolgen darf. Andere Nutzungen sind frei möglich. Zugelassene kommerzielle Weizensorten stammen von nur wenigen Linien ab.

Beate Koller von Arche Noah berichtete über das EU-geförderte Projekt Diversifood. Mit 4 Millionen Euro werden 21 Partner in 12 Ländern gefördert. Eins der sieben Arbeitspakete ist eine Kartierung der „Community Seed Banks“, der Erhalterorganisationen in Europa. Dazu steht ein Fragebogen zur Verfügung. Die gesammelten Adressen werden aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht. Im September 2017 soll ein Workshop in Rom stattfinden, zu dem auch dörfliche Genbanken aus dem Süden eingeladen werden; in Europa sei dieses Konzept weniger entwickelt.

Thomas Gladis vom Kaiserstühler Garten bzw. Gemüseackerdemie stellt die potenziell nutzbaren tiergenetischen Ressourcen in Deutschland vor. Darunter sind auch zahlreiche Insekten, mit denen er in seiner Zeit in der Genbank Gatersleben zu Bestäubungszwecken Haltungs- und Züchtungsversuche gemacht hat.

Martin Wiehle, Uni Kassel, stellte zahlreiche Wildfrüchte aus nah und fern in Natur mit Kostproben und per Foto vor. Er bedauerte, dass es kaum noch Bewusstsein für die Nutzung von Wildfrüchten bei uns gäbe. Es wird angeregt, mit der zunehmenden Verbreitung der Felsenbirne auf städtischen Grünflächen auch über ihre Essbarkeit zu informieren.

Ulrich Quendt war bis vor kurzem bei der Getreidezüchtung Darzau tätig und züchtet nun Wintererbsen. Ziel ist, die Wuchshöhe zu verringern und geeignete Stützkulturen zu finden.

Urban Lempp stellt Kultursaat vor, die 1994 aus dem Initiativkreis hervorgegangen ist und über 300 Mitglieder hat. Alte Erwerbssorten werden ausgewertet, und neue Sorten gezüchtet. Sie werden über Kultursaat zur Zulassung angemeldet und über Bingenheimer derzeit überwiegend an Hobbygärtner vermarktet. Es wird angeregt, bei der Bonitierung auch auf Merkmale für Hobbygärtner zu achten und mit Erhalterorganisationen zu kooperieren. Kultursaat bietet eine zweijährige Züchtungsfortbildung an.

Eine Bilanz der Arbeit des Weizen-Notkomitee nach 10 Jahren zogen Jürgen Holzapfel und Ieke Dekker. Es waren die Triticum Sorten aus den Anbaujahren 2006/07 und 2007/08 bestellt worden, nachdem dort 2006 Gentechnikversuche bekannt und Kontaminierung des Genbankmaterials wahrscheinlich wurde.Der Gaterslebener Feldbefreier-Prozess endete mit Freispruch am Magdeburger Oberlandesgericht nach vielen Jahren Bangen und unzähligen Verhandlungen. Zahlreiche PatInnen haben sich an der Erhaltung beteiligt. Thomas Gladis, ehemals Mitarbeiter der Genbank Gatersleben, beteiligte sich an der Bonitierung. Unklar ist die weitere Erhaltung dieser immensen Menge an Sorten. Aus dem IPK kamen 752 Sorten (inkl. doppelten und nicht-vorhandenen). Mit der Privatkollektion zusammen sind es 1299 Sorten.

Andreas Riekeberg, Saatgutkampagne, berichtete über die Änderung des dänischen Saatgutrechts, nach der Saatgutverkauf für den nichtkommerziellen Anbau von der Zulassungspflicht ausgenommen wird. In Frankreich werden für Nichtregierungsorganisationen, für nicht geschützte Sorten und für den Verkauf an Hobbygärtner Ausnahmen gemacht. Dies wurde im neuen französichen Biodiversitätsgesetz verankert.

Er ergänzte seinen Vortrag durch Ausführungen über die drei aktuellen Konzern-Zusammenschlüsse, die noch von nationalen Kartellämtern genehmigt werden müssen. Sie würden zur Folge haben, dass künftig 3 Konzerne 60% des Welt-Saatgutmarktes beherrschen, und 70 % des Pestizidmarktes. Nach den nachlassenden Gewinnen bei Pestiziden (v.a. Glyphosat) scheint eine neue Konzernwachstumsstrategie bei der Züchtung von Hybridweizen zu bestehen. Die Bundesregierung fördert „Grundlagen“-Forschung in dieser Richtung massiv, am 8.12. veranstaltet das BMEL in Frankfurt einen Kongress zur Weizenzüchtung.

Jutta Sundermann von der Aktion Agrar weist auf die Aktion „Brot in Not“ hin. Damit werden die Konzernzusammenschlüsse und die Forschung zur Entwicklung von Hybridweizen weithin bekannt gemacht.

Ähnliches hatte die Saatgutkarawane der jABL zum Ziel, die von Josefine Märker und Mareike Artlich vorgestellt wurde. Sie führte zu GetreidezüchterInnen in Frankreich und Deutschland. Die jAbL will über Möglichkeiten bäuerlicher Getreidezüchtung informieren und BäuerInnen dazu ermutigen.

Das Genbänkle, jüngstes Mitglied des Dachverbands, stellte Roman Lenz (Uni Nürtingen, Slow Food) vor. In kurzer Zeit hat sich in Baden-Württemberg ein Netzwerk von 80 ErhalterInnen mit über 200 Sorten gebildet. Eine Kooperation mit Arche Noah hat mit einem Besuch von Vertretern der Landesregierung in Schiltern begonnen, die sich nun an der Finanzierung des Genbänkle beteiligt.

Melanie Grabner von Lilatomate berichtete vor dem Hintergrund ihrer zehnjährigen Erfahrung als Erhalterin, die sie vom Sammeln zum Begrenzen geführt hat. Tomaten, die als Selbstbefruchter gelten, verkreuzen sich zunehmend, und die Erhaltung muss auf entsprechender Basis erfolgen. Meist werden zu wenige Pflanzen einer Sorte angebaut, und zu dicht gepflanzt. Regionale Kooperation, einschliesslich Solawi-Initiativen, kann eine Antwort sein. Vorhandene Strukturen, vor allem in der Bildungsarbeit, sollten dabei genutzt werden.

Cora Leroy stellte ihr Buch „Gemüsesamen selbst gezogen“ vor, zu dem sie auch die Fotografien selbst gemacht hat.

Thomas Penndorf hat das „Lebensgut Cobstaedt“ in Thüringen mit gegründet. Neben zahlreichen Aktivitäten, wie das Betreiben einer Herberge und ständige Besucher und Bewohner, sind die Obstbaumpflanzungen am Jakobsweg ein Schwerpunkt. Damit konnten den Agrarwüsten einige Vielfalt entgegen gesetzt werden. Eine Sammlung historischer Kirsch, Apfel- und Pflaumensorten in einem Obstgarten erfordert ständige Pflegearbeiten. Er lud den Dachverband zu einer Besichtigung ein.

Hans-Joachim Bannier hat in seinem Obstsortengarten Olderdissen bei Bielefeld neuartige Sonnenbrandschäden vor allen an Äpfeln dokumentiert. Er vermutet, dass sie nicht allein durch Hitze verursacht wurden, denn es ist in der Obstbaugeschichte nie darüber berichtet worden. Erwerbsobstgärtner reagieren mit technischen Lösungen wie Beschattung.

Susanne Gura berichtete über ihre berufliche Tätigkeit beim internationalen Netzwerk APBREBES, das Beobachterstatus beim Sortenschutzabkommen UPOV hat. In diesem Jahr hatte ein Symposium über die Zusammenhänge zwischen Züchterrechten und Bäuerlichen Rechten stattgefunden und es wurde bei UPOV nach Jahrzehnten der öffentlichen Kritik ein Prozess zur weiteren Behandlung des Themas in Gang gesetzt. Es gibt Bestrebungen, die Weiterzüchtung mit rechtlich geschützten Sorten in den ersten fünf Jahren zu verbieten.

Außerdem berichtete Susanne Gura als Erste Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt über Erfahrungen in den 30 Jahren seit seiner Gründung. Motivation für die Gründung waren Berichte der Vereinten Nationen Ende der 1970er Jahre, dass ein Viertel der landwirtschaftlichen Vielfalt weltweit, 90% in Industrieländern, verloren war. Der Alternative Nobelpreis-Träger Pat Mooney hatte den Verlust in Beziehung zur Konzentration des Saatgutmarktes und der wachsenden Rolle der Chemiekonzerne in Bezug gesetzt. Damals beherrschten die zehn größten Anbieter ein Viertel des Weltmarktes, heute sind es drei Viertel, und drei weitere Megafusionen stehen an. Vor allem seitdem die Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über Biologische Vielfalt 2008 in Bonn stattgefunden hatte und die UN-Dekade der Biologischen Vielfalt lief, stieg das Interesse in der Bevölkerung. Während 1986, als der Verein gegründet wurde, der Schwerpunkt der Arbeit auf Sammeln, Vermehren und Wissensaufbereitung und -vermittlung gelegt worden war, steht nun mehr die Stärkung der regionalen Erhaltungstätigkeit sowie Öffentlichkeitsarbeit im Vordergrund.

Ines Fehrmann, Uni Kassel führte die Teilnehmenden durch das Tropengewächshaus, mit Schwerpunkt Heilpflanzen und Biopiraterie.