PM: Erhaltung der Sortenvielfalt weiterhin rechtlich bedroht

EU-Parlament stimmte über umstrittene Saatgutrechtsreform ab

6. Mai 2024, Bonn - In der Debatte des EU-Parlaments Ende April zur Saatgutrechtsreform wurde vielfach die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt hochgelobt –  die konkreten Beschlüsse jedoch würden, falls sie Gesetzeskraft erlangen, die GärtnerInnen, die berufsmäßig selbsterzeugtes Vielfaltssaatgut verkaufen, mit neuen Verwaltungsvorschriften schwer belasten.

Daher appelliert der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt an die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, in den anstehenden Trilog-Verhandlungen von Kommission, Parlament und Ministerrat unbedingt auf Regelungen zu bestehen, die beruflich engagierte VielfaltserhalterInnen von der künftigen Verordnung ausnehmen.

Den Beschlüssen des EU-Parlaments zufolge müssten diese VielfaltsgärtnerInnen schon bei kleinsten Saatgutmengen fast dieselben umfangreichen Auflagen erfüllen wie große Unternehmen der Saatgutindustrie, die eigene Buchhaltungs- und Rechtsabteilungen haben und für die Erwerbslandwirtschaft weltweit Saatgut erzeugen. Dieser Aufwand würde sich für die meisten letztlich wie ein Verbot auswirken.

Denn Vielfaltssaatgut wird oft von berufsmäßig Engagierten verkauft, die das Saatgut selbst erzeugen. Zahlreiche Sorten und Arten werden in kleinen Mengen mit handwerklichen Methoden separat angebaut, geerntet, gereinigt, gelagert, verpackt, beschriftet. Verkauft wird nicht nur im Internet, sondern zumeist auf Saatgutfestivals. Das dient dem Erfahrungsaustausch und der Vernetzung, der Bildung und dem Saatgutverkauf und gehört zur Vielfaltserhaltung dazu. Zusätzliche Verwaltungsarbeit wäre in diesen Kleinstbetrieben, weil sie meist ohne Personal auskommen müssen, gar nicht leistbar.

Ohne die professionellen Kleinstbetriebe würde die Qualität und Regionalität des Angebots an Vielfaltssorten und -veranstaltungen leiden, und das ohnehin zu kleine Angebot würde geringer und teurer.

Vielfaltserhaltung darf nicht mit Saatgutmarktvorschriften belastet, sondern sie müsste davon ausgenommen werden. Das Parlament hat gegenüber dem Entwurf der Kommission einen Fortschritt beschlossen, indem es Ausnahmen für Vielfaltssaatgut von gemeinnützigen Organisationen gewähren würde. Allerdings haben in der Vielfaltserhaltung beruflich Engagierte in den Mitgliedsstaaten keinen Zugang zum steuerrechtlichen non-profit-Status. Dabei können sie wegen des hohen handwerklichen Aufwands getrennt nach vielen Sorten und Arten wahrlich keine Profite machen.

Die Begründung für solche Strenge ist aus Sicht der konservativen Mehrheit des Parlaments dieselbe, die der europäische Saatgutindustrieverband vorgebracht hat: Gefahren für Wettbewerb und für Pflanzengesundheit. Die Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten in der EU wird jedoch auf Grundlage der Pflanzengesundheitsverordnung bekämpft. Sie ist risikobasiert und gilt umfassend für alle, sogar für Hobbygärten. Saatgutrechtliche Ausnahmen – zu denen im Übrigen auch der Verkauf von jedwedem Saatgut durch HobbygärtnerInnen zählt - können die Pflanzengesundheitsverordnung nicht schwächen.

Hinzukommt ein wichtiger Punkt: Im derzeit geltenden Recht ist der Verkauf von informellen Vielfaltssorten in einigen Mitgliedsstaaten in begrenzten Mengen ausdrücklich erlaubt. Des Weiteren wird dieser Verkauf in den meisten Ländern nicht als Verstoß eingestuft, solange Vielfaltssaatgut nicht dem Erwerbsanbau dient. Über mehrere Jahrzehnte sind dadurch bisher weder eine Epidemie eingetreten noch ein wettbewerbswidriger Parallelmarkt, wie die Industrielobby befürchtet.

Diese in einigen EU-Mitgliedsstaaten schon erreichten hilfreichen Regelungen, grundsätzlich kleine Mengen für Vielfaltszwecke frei verkäuflich zu halten, würden mit einem neuen Saatgutrecht verlorengehen, weil es als Verordnung angelegt und daher kein nationaler Spielraum bestehen würde.

Klare Nutznießer der EU-weiten Standardisierung des Saatgutrechts wären hingegen international aktive Konzerne, weil sie ihre Rechts- und Verwaltungsabteilungen erheblich rationalisieren könnten. Die neue Rechtsform der Verordnung steht bisher nicht infrage. Die Industrielobby versucht nun mit ihrer Drohkulisse von Pflanzenepidemien, Parallelmärkten und Minderqualität die im Parlament erzielten Ergebnisse im Trilog wieder zu reduzieren.

Weil im Laufe des Trilogs sich das EU-Parlament, der Ministerrat und die EU-Kommission noch einigen müssen, sind weitere Kompromisse zu Lasten der Vielfalt zu befürchten. Der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt fordert sachgerechte Entscheidungen, indem die Vielfaltserhaltung insgesamt, auch Kleinstbetriebe, von der Verordnung ausgenommen werden.

Dies käme der Vielfalt sogar auch global zugute, denn erfahrungsgemäß dienen EU-Gesetze Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika als Muster, das zu übernehmen diese Länder beispielsweise im Rahmen von EU-Freihandelsabkommen gedrängt werden.

Das Abstimmungsergebnis des EU-Parlaments würde, trotz der gegenüber dem Kommissionsentwurf erzielten Verbesserungen, den FAO-Saatgutvertrag und den Artikel 19 („Recht auf Saatgut“) der UN-Erklärung über Bauernrechte (UNDROP) keinesfalls erfüllen und würde den weiteren Verlust der Nutzpflanzenvielfalt in Gärten und Feldern keinesfalls aufhalten, warnt der Dachverband.

English version: Cultivation of agricultural biodiversity still under legal threat

 

 

 

 

AnhangGröße
Press Release 6 May 2024 Cultivation of agricultural diversity still under legal threat.pdf119.3 KB
PM Erhaltung der Sortenvielfalt weiterhin durch EU-Gesetzesreform bedroht.pdf125.02 KB