Bericht über das 6. Symposium Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt, 18.-20. November 2011 im Bienenmuseum Weimar

Weimar mit seiner landwirtschaftlichen Tradition, vor allem bei der Entwicklung der Imkerei und der Zwiebelzüchtung bildete den Rahmen des Symposiums; der erste Imkerverein in Europa wurde hier gegründet und etablierte das älteste Bienenmuseum Deutschlands. Die etwa drei Dutzend TeilnehmerInnen wurden von Susanne Gura im Namen des Dachverbands-Vorstandes begrüßt; Dank für die Förderung des Symposiums gebührt der Software AG Stiftung, dem Ökosozialen Forum, der Sparkasse Mittelthüringen, und der Immobilienagentur Freiraum, sowie Thomas Penndorf und Tomm Leukefeld von Region der Vielfalt und Lebensgut Cobstädt für die rundum gelungene Organisation.
Detlef Wendt, Sozialministerium und Ökosoziales Forum stellte die wenige Tage zuvor verabschiedete Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Thüringen vor, ergänzt durch Anmerkungen über die landwirtschaftliche Biodiversität durch Frau Andrick vom Landwirtschaftsministerium. Kompensationsmaßnahmen für den Flächenverbrauch sowie Blühstreifen, aber insbesondere die Rolle der landeseigenen Flächen und Pachtbedingungen wurde diskutiert, zB bei der Umsetzung des Landtagsbeschlusses über ein GVO-freies Thüringen. Der Zugang zu Land ist für junge Menschen, die einen Ökohof einrichten wollen, extrem schwierig.

Der Biologe Thomas Gladis (PDF, 86 KB), treibende Kraft bei der Gründung des Dachverbandes, beschrieb die Geschichte der Kulturpflanzen, ihres Verlustes und ihre ex-situ-Erhaltung am Beispiel der Genbank Gatersleben. Seit dem Jahr 2000 wird der Index Seminum nicht mehr gedruckt zur Verfügung gestellt. Die Suche nach bestimmten Akzessionen ist nur noch online möglich. Es werden nur die wichtigsten Paßportdaten veröffentlicht, und der Probenumfang hat sich drastisch verringert. Seit Biotechnologie-Firmen auf dem Gelände des IPK gegründet und dort Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen vorgenommen wurden, kann die Gentechnikfreiheit der Sortimentsbestände nicht mehr gewährleistet werden. Im Unterschied zur ex-situ-Erhaltung findet eine Förderung von in-situ-Erhaltungsprojekten mit öffentlichen Mitteln kaum statt. Am Beispiel eines Vorhabens der Stiftung Kaiserstühler Garten wurde der Wert intakter Agroökosysteme erläutert: Hoch wachsende Getreide mit artenreichem Unterwuchs an Unkräutern bieten vielen Tieren Nahrung und Lebensraum. Auf Düngemitteleinsatz und Pflanzenschutz kann u.U. völlig verzichtet werden.

In der Diskussion wurde angesprochen, daß die räumliche Nachbarschaft von Genbanken und Versuchen mit Gentechnik auch andernorts praktiziert wird, im In- und im Ausland.

Hans-Joachim Bannier, Pomologenverein, ebenfalls ein Mitbegründer des Dachverbands, wies auf die erheblichen Erhaltungsprobleme in Obstgenbanken hin, z.B. wurden wegen Feuerbrand ganze Bestände gerodet, und die Chance auf Selbstregenerierung vertan. Zur Verbreitung der Krankheiten tragen neue Sorten bei. Seit 1920 wird auf nur drei Elternsorten (Golden Delicious, Cox Orange, Jonathan) zurückgegriffen, die zudem anfällig gegenüber Schorf, Mehltau und Krebs sind. Sie machen den Obstbau abhängig von Spritzmitteln. Die monogene Schorfresistenz aus einem Wildapfel ist in alle neueren Sorten eingezüchtet und nach 10-15 Jahren zusammengebrochen. Demgegenüber sind viele alte Sorten dauerhaft resistent, zB der seit 800 Jahren nachgewiesene Edelborsdorfer, der im Übrigen in der Genbank falsch benannt war. Auch der Bioanbau hat noch nicht die Vorteile alter Sorten ausgeschöpft und spritzt Kupfer und Schwefel wie vor der Entwicklung der Agrarchemie, was manche alten Sorten nicht vertragen. Freigesetzte Gentechnik ist auch im Obstbau nicht rückholbar; das Argument der durchstrukturierten Kulturlandschaft, in der Sämlinge vor dem Fruchten gerodet werden, lässt sich zB mit einem Blick auf Bahndämme widerlegen. Die Nachfrage von Allergikern nach alten Apfelsorten hat zu gestiegenem Interesse geführt. Auch manche Kirschen kämen ohne Spritzmittel aus, wenn man den Frühkirschenmarkt nicht den Mittelmeerländern überlassen würde.
as Projekt Apfel:Gut im Rahmen der Initiative Saat:Gut will schorfresistente Neuzüchtungen zur Verfügung stellen und sucht BetreuerInnen für die Sämlinge.

Der Imker Michael Grolm knüpfte an die industriefreundlich-unwissenschaftliche Argumentation von Wissenschaftlern an: da es keinen Maishonig gäbe, würden Bienen Mais nicht anfliegen. Fakt ist, dass 80 % aller Honige Maispollen enthalten. Die neu entwickelten Feinfiltrieranlagen werden zugleich den gesündesten Bestandteil des Honigs wegfiltern. Noch keine Technologie ist so verbreitet abgelehnt worden wie die Gentechnik, die aber dennoch eingeführt wird. Im Koalitionsvertrag ist die BASF Gen-Kartoffel erwähnt- warum nicht der Honig der Schlossimkerei Tonndorf? Anbauversuche finden nun verstärkt in neuen EU-Ländern statt. Alle Gentechnik-Gegner profitieren von den Feldbefreiern. Der Druck von der Straße muss aufrechterhalten werden, damit Gentechnikfreie Zonen vermehrt werden und bessere Wirkung haben. Anhalonium weist drauf hin, dass Maisvielfalt statt Bantammais gegen Gentechnik eingesetzt werden sollte.

Frank Augsten (PDF, 10,4 MB), stellv. Vorsitzemnder der Grünen Landtagsfraktion, wies auf technische Probleme bei der Gentechnik: Die weitaus meisten Gentransfers haben Zelltod zur Folge. Sterilität durch gene silencing ist nicht zuverlässig. Nachweisen kann man nur die Transgene, die man bereits kennt. Wenn man die Gentechnik stoppen möchte, sobald Probleme auftreten, ist es zu spät, denn sie ist nicht rückholbar. Bei Abstandsregelungen ignorieren wissenschaftliche Empfehlungen manche Risiken, wie zB Stürme. Wegen unklarer Haftung rät der thüringische Bauernverband von Gentechnik ab. Die Probleme, die die Gentechnik lösen will, sind nicht die Probleme der Bauern in Entwicklungsländern, wie eine Erhebung gezeigt hat.

Ein einziges von Zuckerrüben gentechnisch kontaminiertes Samenkorn einer Beta-Rübe oder eines Mangold führt zum Gentechnik-Gericht, erläuterte Siegrid Herbst (PDF, 1,4 MB) von der Interessengemeinschaft Gentechnikfreie Saatgutarbeit. Die IG Saatgut hatte bei der „Wir haben es satt!“ Demo 2011 in Berlin ein Theaterstück aufgeführt, um zu zeigen wie so genannte Schosser, frühzeitig blühende Zuckerrüben, mit ihrem Pollen auch Mangold und andere Rübenverwandte bestäuben und auch gentechnisch kontaminieren könnten. Thüringen hat am 18. März im Bundesrat für die Verhinderung von Schwellenwerten von Gentechnik im Saatgut gestimmt. Ob zugelassen oder nicht, GVO würden sich verbreiten, wenn im Saatgut 0,1 % Gentechnik toleriert würden. Bei Mais würden dies 100 Pflanzen pro Hektar ausmachen. Um eine gentechnikfreie Saatgutarbeit dauerhaft zu sichern, muss die Bund/Länder AG Gentechnik Null GVO im Saatgut festlegen, auch falls das Gentechnikgesetz novelliert wird. Dazu gehört auch die Festlegung des VerursacherInnenprinzips. Schon jetzt geben Saatguterzeuger hohe Summen für Tests aus, teilweise für Einzelpflanzentests in Sicherheitsstufe 1-Gewächshäusern. Kleinere ZüchterInnen müssen auf Ausgangsmaterial aus Risikogebieten und möglichen Züchtungsfortschritt verzichten. Der Schwellenwert in der Schweiz von 0,5% im Saatgut muss weg. In der IG Saatgut sind Vereine und Unternehmen aus D,A und CH organisiert.

Die Arbeit des Dreschflegel stellt Sabine Marten vor. Der Förderpreis Ökologischer Landbau wurde zur Übergabe eines Gesetzesrahmens gegen Gentechnik an Landwirtschaftsministerin Aigner genutzt. Dreschflegel operiert in drei Organisationsformen: als Verein, um Spenden für nicht zugelassene Sorten einzunehmen, als GBR, um zugelassene Sorten zu verkaufen, und als Schaugarten für die Öffentlichkeitsarbeit. Für 5 Sorten wurde Zulassung beantragt. Gegen die Verdreifachung der Gebühren hat Dreschflegel erst Widerspruch und dann Klage eingereicht.

Das Lebensgut Cobstädt verdrängt nicht nur die genetische Agrarwüste Thüringens durch Vielfalt, erläuterte Thomas Penndorf (PDF, 3,15 MB). Cobstädt gilt inzwischen als Öko- und Künstlerdorf, denn es gibt ein großes Angebot an attraktiven Produkten und Leistungen. Dafür erhielt das Lebensgut 2010 den Umweltpreis der Stadt Gotha. Das Patenbaum-Konzept wird sowohl von SelbstversorgerInnen als auch ideellen UnterstützerInnen angenommen. Mit wenig Geld erreichen die „Mittis“ in der Mitte Deutschlands viel. Zunächst hatten vor allem ältere Mitglieder der lokalen Kirchengemeinde das Projekt unterstützt.

Nancy Almrodt (PDF, 6,3 MB) stellte den Geo- und Genussweg Drei Gleichen vor. Mehr Lebensqualität, Stärkung der regionalen Wirtschaft und des Tourismus sind die drei Ziele. Die Erfindung des Weizenbiers in Arnstadt geht auf die geologischen Verhältnisse mit guter Wasserqualität und die Schwarzerde zurück, auf der Hopfen gut gedeiht. Der Bier- und Bratwurstweg sowie der Obstraritätenpfad sind zentrale Projekte. In der Region wurde nicht nur die Imkerei, sondern auch der Obstbau entwickelt, Hermann Müller als Begründer der Coevolutionstheorie (Bienen/Blüten) wird herausgestellt. Die Honigweinschänke in Cobstädt, die Hopfenpyramide in Jena und die Gründung des Pomologenvereins in Gotha sind weitere Glanzlichter des Projektes, an dem sich 17 Gemeinden beteiligen.

Annegret Rose berichtet über den seit 1986 gegründeten Saatgutbetrieb Rose mit 100 ha Blumen, Gemüse- und Heil- und Gewürzkräuterarten. Sie verkauft Saatgut von 150-200 alten Sorten, zT über Bingenheimer Saatgut. In der kommerziellen Züchtung verschiebt sich das Sortiment auf topffähige Arten, die kompakt wachsen und höchstens 5-6 Monate bis zur Blüte brauchen; sie werden blühend verkauft. Viele hochwachsende Sorten gehen verloren, besonders wenn die Keimfähigkeit kurz ist wie beim Rittersporn. Die Erfurter Region war einmal bekannt für ihre Blumenfelder. Nun wird immer mehr Lößboden Bauland; der Wert fruchtbaren Bodens muss wieder bekannt gemacht werden.

Maike Röder und Maike Hartung haben den Interkulturellen Garten Eisenach (PDF, 24,6 MB) auf dem Gelände einer städtischen Wohnungsgesellschaft entwickelt. Er wird derzeit in einen Verein übergeführt. Lebensgut Cobstädt berät bei der Sortenauswahl. Verbesserungen bei Ernährung, Gesundheit, Psyche und Integration kommen dem hohen Anteil MigrantInnen im Wohngebiet zugute. Die örtliche Evangelische Grundschule ist beteiligt.

Petra Klinkhardt berichtet über ihre Aktivitäten zur Belebung des Dorfes Ottern, die sich aus der Nachfrage der Kinder ergeben haben. Sie vermittelt kulturelle Werte und Fertigkeiten rund um die lokale Agrarkultur.

Jürgen Schmidt, Mitglied des VEN, erläutert ein archäobotanisches Projekt in der Region Dietmarschen. Aufgrund von Funden wurde ein Bauernhof aus der Bronzezeit erbaut, und Jürgen Schmidt sorgte für das passende Saatgut. Kinder können verschiedene Techniken erlernen, und dabei Stempel erwerben, die sie zu einer Weiterbildung berechtigen.

Susanne Gura stellte die Auswirkungen der industriellen Tierhaltung auf die drei Ebenen der Biodiversität vor. Nur acht der domestizierten terrestrischen Tierarten werden industriell genutzt; 250 aquatische Arten wurden in 4000jähriger Geschichte für die Aquakultur domestiziert, aber nur wenige wurden an die Massentierhaltung angepasst. Der genetische Pool von Rinder- und Schweinezuchtlinien entspricht nur noch weniger als 100 Tieren; bei Geflügel ist wegen Geschäftsgeheimnis der weltweit nur noch drei Züchterkonzerne dazu keine Information verfügbar. Neue Züchtungstechnologien verengen den Pool noch weiter. Terrestrische und aquatische Ökosysteme sind wegen der Emissionen aus der industriellen Tierhaltung schwer geschädigt. Da sich Methan nach 7-8 Jahren in der Atmosphäre abbaut, wäre die Schließung der industriellen Schweine- und Rinderhaltung der schnellste Weg, den Klimawandel aufzuhalten. Lachgas ist das gefährlichste der Klimagase, davon kommen zwei Drittel aus der Tierhaltung. Chemiedüngererzeugtes Kraftfutter ist die Ursache; bei Tieren wird Stickstoff sehr ineffizient zu Proteinen umgesetzt. Tierische Proteine sind für eine gesunde Ernährung des Menschen nicht erforderlich. (PDF: Fleisch vom nächsten Planeten)

Zur Erinnerung an das Symposium wurde eine alte Apfelsorte (Gascogne scharlachroter Sämling) im Garten des Bienenmuseums gepflanzt.