Bericht vom 5. Symposium Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt 26. bis 27. November 2010 in Königswinter bei Bonn

Nach einer Begrüßung durch Thomas Meier, Referat Biologische Vielfalt, Genetische Ressourcen und Biopatente des BMELV stellte Hans-Joachim Bannier, Pomologenverein, die Entwicklungen bei der Umsetzung der EU Obst-Richtlinie vor. Auf die Forderungen des Pomologenvereins und des Dachverbandes, denen sich weitere Organisationen angeschlossen haben, sind die staatlichen Stellen nach zahlreichen  Beratungen und Veranstaltungen, einschließlich mit Fraktionsvertretern des Bundestages, weitgehend eingegangen. Insbesondere wurde zugesagt, dass Gebührenfreiheit herrscht und die Sortenliste nicht 2012 geschlossen wird, sondern jederzeit weitere alte Sorten nachgemeldet werden können. Offen ist noch der Umgang mit Neuzüchtungen, die nicht für große sondern nur lokale Märkte geeignet sind. Noch ist nicht klar, ob die Umsetzung national oder auf EU-Ebene erfolgt. Das BMELV hat zugesagt, den Pomologen-Verein über den aktuellen Sachstand auf dem Laufenden zu halten.

Lutz Tenner vom Referat Acker- und Pflanzenbau des BMELV und Hermann Freudenstein vom Bundessortenamt,informierten, dass die Erhaltungssorten-Verordnung für Acker- und Gemüsekulturen am 17.12. im Bundesrat beraten wird. Teilweise aufgrund der Eingaben der Verbände (einschl der des Dachverbandes) wurden im Vergleich zum Referentenentwurf vom Juli  folgende Änderungen vorgenommen:

  1. Bei der Zulassung von Gemüse-Amateursorten braucht – anders als noch im Referentenentwurf vom Juli – weder eine Ursprungsregion angegeben noch eine Bescheinigung über die Bedeutsamkeit in der Region vorgelegt werden. Die Bescheinigung entfällt ebenfalls bei Gemüse-Erhaltungssorten, die in ihrem Bestand bedroht sind. Bei den Erhaltungssorten soll eine noch zu erstellende Rote Liste als Referenz gelten.
  2. Die Mengenbeschränkung entspricht jetzt wieder den Vorgaben der Richtlinie 2009/145/EG; nimmt also Bezug auf die Gesamtmenge an Saatgut einer Sorte (und nicht einer Art, wie noch im Referentenentwurf vorgesehen und von uns kritisiert)
  3. Die Meldepflicht der Saatgutmengen, auch bei den Amateursorten, nach Brüssel soll als anonymisierte Statistik der Saatgutmengen je Sorte erfolgen.
  4. Das Problem einer parallelen Anmeldung einer Sorte als Erhaltungs- und Amateursorte (durch verschiedene Antragsteller) ist noch nicht gelöst: Welchen Status erhält die Sorte in diesem Fall?
  5. Bei der Sperrfrist von  2 Jahren nach dem Erlöschen einer regulären Zulassung berief sich das BMELV auf die Position anderer EU-Länder, die 10 Jahre angesetzt hatten; 2 Jahre sei ein Kompromiss. Die Forderung 0 Jahre wird für berechtigt gehalten und soll nochmals auf die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses für Saatgut in Brüssel.

Karl-Josef Müller, Arbeitsgemeinschaft Biologisch-Dynamischer Pflanzenzüchter, kommentierte insbesondere die Bescheinigung über die Bedeutsamkeit von Erhaltungssorten der Ackerkulturen. Sie ist verzichtbar. Für Ackerkulturen sind die Anforderungen der Erhaltungssortenverordnung zu bürokratisch. Es muss eine einfache Regelung wie z.B. die Nischensortenregelung in der Schweiz,die jedwede Form einer seltenen Sorte mit geringem Marktpotential, ob ökologisch oder konventionell, alt oder neu, nutzbar macht und es dem Markt überlässt, die Nische zu finden.

In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass auch 20 oder 30 € Zulassungsgebühren bei Amateursorten – bei der Vielzahl der potentiell infrage kommenden Sorten –  von den z.T. ehrenamtlich arbeitenden Erhaltungsinitiativen nicht geleistet werden können. Gefordert wird eine völlige Freiheit für Kleinstmengen wie in Österreich (diese bestand dort schon vor dem EU-Beitritt).

Weitere Hinweise in diesem Zusammenhang:

Es ist offen, ob die Erhaltungssortenrichtlinien in Brüssel separat oder im Rahmen der EU Saatgutrechtsreform revidiert werden.

Dort wo Gebietsschutzrecht (das nichts mit Sortenrecht zu tun hat) besteht wie im Fall des Bamberger Hörnchens, empfiehlt das BSA ein Abkommen über Mengen und Vermarktungsrechte zwischen den Marktpartnern. Für Erhalter ist dies keine befriedigende Lösung.

Siegfried Harrer, Referent für pflanzengenetische Ressourcen beim Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung, stellte das Ziel der Roten Liste gefährdeter Nutzpflanzen vor, die derzeit erarbeitet wird. Die Rote Liste soll Grundlage für die ELER/GAK-Programmförderung und für die Bedeutsamkeitsbescheinigung der Bundesländer zur Zulassung von Erhaltungssorten bilden. In der Diskussion wird auf die Bedeutungslosigkeit des Förderprogrammes hingewiesen, sowie auch auf die Gefahr, dass geförderte Erhaltungssorten dann mit nicht geförderten konkurrieren.

Rebenerhaltung 

Andreas Jung, Büro für Rebsortenkunde und Klonzüchtung, stellte die Sortengeschichte des Weinanbaues in Deutschland vor und forderte die mehrfache Absicherung autochthoner Sorten in praxistauglicher virusfreier Qualität. Die bestehenden gesetzlichen Hürden im Wein- und Saatgutgesetz, die noch weit restriktiver sind als bei Obst-, Gemüse- und Getreidesorten, müssen gestrichen und Rahmenbedingungen für genehmigungsfreien Erhaltungsanbau geschaffen werden.

Vermarktung 

Zum Thema Vermarktung hatte Melanie Grabner, Lilatomate/Freie Saaten e.V. am Abend zuvor ihr Arbeitskonzept erläutert. Vor allem die Veranstaltung im Gemeindesaal von Böhl/Iggelheim hatte über Tausend Interessierte angelockt. In der Region besteht große Bereitschaft, Saat- und Pflanzgut sowie Beratung zu alten Sorten zu honorieren.

Philip Holzherr von Pro Specie Rara stellt klar den Unterschied zwischen der Vermarktung von Produkten aus alten Sorten und der Vermarktung von Pflanz- und Saatgut heraus. Vielfaltsprodukte sind eine hochpreisige Nische in der Bio-Nische. Züchtung für den Biomarkt wird in der Schweiz derzeit zu einem neuen Thema. Nicht die ganze Vielfalt kann vermarktet werden. Von 900 Sorten kamen 200 in den Testanbau, 97 in die 2. Testphase und schließlich 63 in die Vermarktung. Die Produkte sind Boten der Vielfalt, die indirekt die Erhaltungsarbeit unterstützen. Die Erhalter arbeiten aber ehrenamtlich.

Cornelia Wiethaler, agravivendi, stellt das Plenum-Regionalsortenprojekt des Vereins zur Förderung der Saatgutforschung im biologisch-dynamischen Landbau e.V. in der Bodenseeregion vor. 18 biologisch-dynamische Höfe und der Züchter Dr. Bertold Heyden haben aus Hofsorten der Bodenseeregion neue standortangepasste Sorten entwickelt. Diese werden unter der geschützten Marke „SaatGut“ in lokalen Demeter-Bäckereien verarbeitet. Aus dem Landesprogramm für Naturschutz „Plenum“ wurde ein neues Vermarktungsprojekt finanziert. Das Bundessortenamt hat dem Vorgehen zugestimmt. Es handelt sich nicht um in Verkehrbringen der Sorten, denn die Abnehmer sind klar definiert.

Die  Baumschule Walsetal wurde von Ulrike Läsker-Bauer vor 20 Jahren im Eichsfeld gegründet. Ziel ist, regional angepasstes Pflanzgut bereitzustellen, denn das Pflanzgut in privaten und öffentlichen Gärten erschien nicht passend und nicht vielfältig. Kunden kommen aus der Region, sozialer Kontakt und Beratung sind wichtig. Werbung über Hören-Sagen. 

Öffentlichkeitsarbeit

Ursula Reinhard, VEN, erläuterte die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit des VEN. Jedes Jahr finden mehrere Dutzend Veranstaltungen statt, insbesondere Märkte und Infostände. Der VEN vergibt Patensorten zur Pflege durch Erhalter; die Patenbetreuung wird neu konzipiert. 2011 finden Patenseminare statt. Bei der Grundausbildung in Sortenerhaltung kooperiert der VEN mit Dreschflegel und anderen Organisationen. Die neue Homepage des VEN zieht viele Zugriffe an; Bücher über Erhaltung sind gefragt. Das Gemüse des Jahres bietet Anlässe zu Medienarbeit, die jeweiligen Flyer werden viele Jahre lang genutzt.

Ursula Gröhn-Wittern, Agrarkoordination, stellt das Biopoli-Projekt vor. Hauptzielgruppe sind Schulen. Das Projekt erarbeitet Materialien wie Weltkarte über Ursprungsregionen der Nutzpflanzen, Ratespiele um Saatgut u.ä., und bildet Referenten aus. Das Interesse der Schulen wird am besten über persönliche Kontakte geweckt. Die Menge inhaltlich Übermittelbares in einer Schulstunde ist äußerst gering, aber trotzdem ist der Aufwand lohnenswert.

Cornelia Wiethaler, agravivendi, erläutert das Projekt Columelle-Biodiversität und Ausbildung in Europa über Berufs-Bildungsarbeit im EU-Programm Leonardo-da-Vinci- für lebenslanges Lernen. mit geringem Aufwand können Veranstaltungsteilnahmen von Landwirten und Gärtnern an bestimmten Veranstaltungen zur Biodiversität im Ausland finanziert werden.

 Hans-Joachim Bannier, Pomologenverein, stellt das neue Buch über Regionale Obstsorten im Rheinland vor, erarbeitet in Kooperation mit 13 Biolog. Stationen des Rheinlandes im Rahmen eines vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) geförderten Projekts. Anhand der anschaulich präsentierten und bebilderten Sortengeschichte könnte das Interesse für lokale Sorten weiterentwickelt werden. Wer weiß schon, dass die lokale rheinländische Apfelsorte ‚Peter Broich’ einst von einem Pomologen, der die Sorte nicht erkannte, umbenannt wurde und – mit kaiserlicher Zustimmung – dann als „Kaiser Wilhelm“ europaweit verbreitet, später in der DDR dann in „Wilhelmsapfel“ umbenannt wurde?

Als Fazit für den Dachverband: Die Bildungsarbeit sollte weiter entwickelt werden. Materialien und Hinweise sollen an Cornelia Wiethaler gesendet werden; sie bereitet sie für die Webseite auf.

Landwirtschaftliche Vielfalt bei den Vereinten Nationen: Susanne Gura, VEN, berichtet über Ergebnisse der Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über Biologische Vielfalt in Nagoya und den Stand der Klimaverhandlungen in Cancun, die Landwirtschaft soll in die Kohlenstoffmärkte einbezogen werden. Zu erwarten ist mehr Landnahme (land grabbing), mehr Holzplantagen, mehr Druck auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft und weniger Vielfalt. Bei der FAO wird im Frühjahr 2011 über die bäuerlichen Rechte verhandelt. Was ist zu erwarten?

Sonstiges:

Susanne Gura hat eine Resolution zum Bonner Nutzpflanzengarten vorbereitet, der langfristig durch  den Bau des Uni Campus Poppelsdorf gefährdet ist. (http://kulturpflanzen-nutztiervielfalt.org/dachverband-fordert-erhaltung-des-bonner-nutzpflanzengartens-im-uni-campus-poppelsdorf)

Ursula Gröhn-Wittern berichtet über die Gefährdung  der Obst-Genbank in St Petersburg. Der Dachverband könnte z.B. anbieten, die Johannisbeerensammlung in Deutschland aufzunehmen.

Susanne Gura weist auf die Kampagne für Saatgut-Souveränität in 2011 hin: http://www.saatgutkampagne.org/