Fachliche Erwiderungen auf das Pro-Gentechnik-Interview (Taz 6.4.16) von FIBL-Leiter U.Niggli

Absender: Hans-Joachim Bannier
Obst-Arboretum und Obstbaumschnittschule Olderdissen (BIOLAND-Betrieb)
Dornberger Str. 197, 33619 Bielefeld
Tel.0521-121635, alte-apfelsorten@web.de
 
Sehr geehrter Herr Niggli,
 
haben Sie Dank für Ihre prompte und freundliche Antwort.
 
Leider sind Sie jedoch in Ihrer Antwort auf die konkreten Argumente, die ich Ihren Ausführungen im Taz-Interview vom 6.4.16 entgegenhielt, nicht näher eingegangen.
 
Der zentrale Vorwurf, den ich Ihnen machen muss, ist der, dass Sie die Fakten über die Resistenzen klassischer Kreuzungszüchtung, auf die Sie Ihre Argumentation pro CRISPR/Cas aufbauen, so verdrehen, dass der Eindruck entsteht, es sei das Wesen Kreuzungszüchtung, dass eingekreuzte Resistenzen immer schon nach kurzer Zeit von Krankheitserregern oder Schädlingen „eingeholt“ würden.
 
Ihre Argumentation ähnelt frappierend der Argumentation derjenigen Züchter, die heute CRISPR/Cas-Gentechnik propagieren. Auch bei der Homepage www.transgen.de wird argumentiert, dass Krankheitserreger oder Schädlinge stets "dazulernen" würden und eingezüchtete Resistenzen der Pflanzen durchbrechen. Mit CRISPR/Cas könnten dann "die Resistenzeigenschaften einer Kultursorte schnell und mit vergleichsweise wenig Aufwand (also schneller als mittels klassischer Kreuzungszüchtung) den sich immer wieder ändernden Strategien der Krankheitserreger angepasst werden." Die Züchter müssten mit ihren Sorten (wie im ewigen Wettlauf zwischen Hase und Igel) "den wandlungsfähigen Schädlingen und Krankheitserregern immer einen Schritt voraus sein."  Selbst bei www.transgen.de gesteht man allerdings zu, dass das Hase-und-Igel-Rennen zwischen den Züchtern auf der einen und den Krankheiten und Schädlingen auf der anderen Seite heute vor allem deshalb existiert, weil Resistenzeigenschaften von Pflanzen "im Verlauf der jahrhundertelangen Züchtung verloren gegangen" seien. *
 
[ * Schaut man auf die Historie der Apfelzüchtung, so stimmt allerdings auch diese Behauptung nur halb: Denn die Resistenzeigenschaften früherer Apfelsorten sind nicht "im Laufe der jahrhundertelangen Züchtung" verloren gegangen, sondern erst in dem Moment, als die chemische Industrie den Obstbauern die chemischen Spritzmittel an die Hand gegeben hat. Erst seit ca. 1930 (in Amerika schon früher) hat man damit begonnen, anfällige Sorten wie den 'Golden Delicious' oder den 'Jonathan' in den Massenanbau zu nehmen, deren Nachkomme 'Jonagold' heute der meist angebaute Apfel Mitteleuropas ist. Und erst seit 1930 hat die Züchtung die gesamte genetische Vielfalt inklusive der Sorten mit polygenen Resistenzen links liegen gelassen und nur noch mit 'Golden Delicious', 'Jonathan' und 'Cox Orange' weiter gekreuzt (in den USA noch mit 'McIntosh' und 'Red Delicious'), weil es kurzfristig größeren wirtschaftlichen Erfolg versprach. ]
 
Die Argumentation mit den quasi "zwangsläufigen" Resistenzdurchbrüchen der Kreuzungszüchtung hat daher – was die Obstzüchtung betrifft – einen gravierenden Haken: Sie trifft so gar nicht zu. Nicht die Kreuzungszüchtung als solche ist mit dem Problem der Resistenzdurchbrechung konfrontiert, sondern genau umgekehrt: Das Phänomen der schnellen Resistenzdurchbrechung ist eine Begleiterscheinung fast ausschließlich derjenigen modernen Kreuzungszüchtungen der letzten Jahrzehnte, bei denen man alles auf die Karte monogener Resistenzen gesetzt hat (wie der des Wildapfels Malus floribunda).
 
Genau dieselbe Strategie – die züchterisch vermeintlich „schnellere“ und „einfachere“ Einkreuzung monogener Resistenzen z.B. aus Wildpflanzen in unsere hochgezüchteten Kultursorten – wollen Sie jetzt mit der CRISPR/Cas-Methode wiederholen und empfehlen das allen Ernstes auch noch dem Biologischen Anbau?
 
Eine ökologische Züchtung will das Hase-und-Igel-Spiel der Züchter gerade vermeiden. Es geht um die Züchtung von Sorten mit breiter polygener Resistenz, die im Feld auch langfristig Bestand haben. Dass eine solche Züchtung unter Umständen mehr Zeit benötigt, mag - besonders aufgrund der von mir beschriebenen Züchtungsversäumnisse der letzten 80 Jahre - durchaus zutreffen. Dafür sollen ihre Ergebnisse nicht nur längeren Bestand im Feldanbau haben, sondern auch für den ökologischen Anbau geeignet sein.
 
Gentechnik gegen den Welthunger ?
 
Wie ich Ihrer Antwort entnehme, sind Sie außerdem anscheinend der Ansicht, die neuen gentechnischen Züchtungsmethoden könnten helfen, die Welternährung zu sichern.
 
Eine solche Argumentation – Gentechnik gegen den Welthunger – war bisher in erster Linie die Argumentation von Gentechnik-Forschern. Dass Sie dieser Argumentation jetzt anscheinend folgen, erstaunt mich – begeben Sie sich mit dieser Einschätzung doch in expliziten Widerspruch zu den Erkenntnissen des Weltagrarberichts, den 400 Wissenschaftler 2008 im Auftrag der Weltbank und der Vereinten Nationen erstellt haben. In den zusammengefassten Ergebnissen des Weltagrarberichts heißt es unter anderen:
 
Unmittelbar gentechnisch bewirkte Ertragssteigerungen sind bisher nicht nachzuweisen. Zur seriösen langfristigen Bewertung der Umwelt- und Gesundheitsrisiken fehlen noch immer überzeugende Konzepte.
 
Und weiter:
 
Was der Weltagrarbericht vorhersagte, ist mittlerweile Realität: Die Natur passt sich an. Immer mehr Unkräuter trotzen ebenfalls den Herbiziden. Deshalb vervielfachte sich der Herbizideinsatz auf Gentechnikflächen und macht einen ganzen Cocktail von Giften erforderlich. Auch Insekten werden resistent gegen die Bt-Toxine. Zudem nutzen andere, gegen Bt unempfindliche Arten frei gewordene Fressplätze und werden mit zusätzlichen Insektiziden bekämpft. Vielleicht auch deshalb, weil das für ihre Hersteller geschäftsschädigend wäre, wird dieses klassische Dilemma des chemischen Kampfes gegen Organismen, die durch Monokulturen zur Plage werden, durch gentechnische Methoden nicht gelöst.
 
Dass der Welthunger in erster Linie ganz andere Ursachen hat als die der landwirtschaftlichen Anbauverfahren oder -sorten, haben nicht nur die 400 Wissenschaftler des Weltagrarberichts festgestellt, sondern auch Sie selbst haben dies noch vor wenigen Jahren vehement in der Öffentlichkeit vertreten.
 
Fachleute der Vereinigten Nationen sehen die Ursachen der globalen Ernährungsunsicherheit weniger in der Verfügbarkeit von Lebensmitteln, als im fehlenden Zugang zu Lebensmitteln. Eine wichtige Rolle spielt auch die unsichere Stabilität der Lebensmittelversorgung (Stichworte sind Preisschwankungen, Spekulation, aber auch Missernten durch Dürren und Überschwemmungen). Und schlussendlich ist auch die Verwendung von Lebensmitteln wichtig (riesige Verluste durch ungeeignete Lagerung, Verschwendung von Lebensmitteln, Übergewicht von einer Milliarde Menschen, einseitige und ungesunde Ernährung). Mit den Lebensmitteln, welche die Menschen auf ihren Äckern und auf dem Grünland produzieren, könnten theoretisch 9 bis 11 Milliarden Menschen ernährt werden. ... Die biologische Landwirtschaft - gleich wie andere agrarökologische Ansätze - betonen ... zu Recht die anderen Ursachen der globalen Ernährungskrise und wollen diese wirksam anpacken. Aus Sicht des Biolandbaus muss man auch das heiße Eisen der Ernährungsgewohnheiten angehen. Mit westlichem Fleischkonsum wird man niemals die Menschen ernähren können, außer man riskiert den Kollaps des Planeten (Wasser- und Lufterosion, Eutrophierung von Grund- und Oberflächenwasser, hohe Klimagasemissionen, rasanter Verlust an Biodiversität in und um die Landwirtschaft). Auch das Problem der falschen Lagerhaltung und des Transports in Entwicklungsländern (bis zu 40 % Ernteverluste) und der Verschwendung von Lebensmitteln in Industrieländern (USA bis zu 50 %, Europa 40 %) muss prioritär gelöst werden.
 
Jetzt dagegen empfehlen Sie „der Welt“ und dem Biologischen Anbau die Öffnung für eine Technik, die – ungeachtet der Unwägbarkeit, ob sie neue, zusätzliche Risiken in sich birgt – genauso manipulativ und monogenetisch arbeitet wie die Gentechnik, obwohl letztere ihrerseits bis heute weder ihr Versprechen einlösen konnte, etwas gegen den Welthunger zu tun noch ihr Versprechen, den Spritzmittelverbrauch im landwirtschaftlichen Anbau zu reduzieren.
 
Welchen Ratgebern Sie dabei gefolgt sind und warum Sie öffentlich den Eindruck erwecken, die Vertreter des Ökologischen Anbaus würden „irrationale Ängste“ gegen diese Technik schüren, ist mir nicht bekannt und auch nicht nachvollziehbar.
 
Dass es eine „friedliche Koexistenz“ dieser gentechnischen Methode mit einem Biologischen Anbau nicht geben kann, weil die bestäubenden Bienen nicht zwischen GVO- und Nicht-GVO-Pflanzen unterscheiden können, dürfte Ihnen aber ebenso klar sein wie der Umstand, dass die Bauern dieser Welt damit immer mehr den akademischen Züchtern und ihrem ‚Hase-und-Igel-Wettlauf’ (gegen die Folgen ihrer jeweils nur kurzfristig resistenten Zuchtpflanzen) ausgeliefert würden.
 
In diesem Zusammenhang von „Ressourcenschonung“ zu sprechen erinnert mich ein wenig an die Argumentation in der Klimadiskussion, Atomkraft diene der CO²-Reduktion.
 
Solche Positionen zu vertreten, steht Ihnen als Wissenschaftler natürlich frei. Solche Positionen als Leiter eines „Forschungs-Institut für den Biologischen Anbau“ in die Welt zu posaunen, ist nicht nur ein fatales Signal an die Verbraucher und an die Politik, sondern ganz nebenbei auch an ihre eigenen Mitarbeiter!
 
Mit freundlichen Grüßen
Hans-J. Bannier
 
 
 
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Hans-Joachim Bannier
Obst-Arboretum und Obstbaumschnittschule Olderdissen (BIOLAND-Betrieb)
Dornberger Str. 197, 33619 Bielefeld
Tel.0521-121635, alte-apfelsorten@web.de
 
Mitglied der ökologischen Züchtungs-Initiative 'Apfel:gut'
Mitglied im Pomologen-Verein e.V.
Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V.
Vorstandsmitglied des Dachverbands Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V.
 
 
 
Gesendet: Donnerstag, 14. April 2016 um 16:12 Uhr
Von: "Niggli Urs" <urs.niggli@fibl.org>
An: "Hans-Joachim Bannier" <alte-apfelsorten@web.de>
Betreff: AW: OFFENER BRIEF zu Ihrem Interview in der TAZ vom 6.4.16

Sehr geehrter Herr Bannier,

 

Vielen Dank für Ihre Reaktion, welche ich sehr schätze. Ihren Ansatz finde ich in jeder Hinsicht sehr wichtig, sowohl, was die Erhaltung der grossen historischen Sortenvielfalt anbelangt, als auch die Züchtungsbemühungen auf Feldtoleranz oder polygenetische Resistenz.

 

Ich glaube, der einzige Punkt wo wir uns unterscheiden ist, dass ich denke, dass es für die nachhaltige, ressourcenschonende Ernährung einer ständig wachsenden Bevölkerung nicht nur einen sondern mehrere Wege gibt. Das heisst, dass es schlussendlich zahlreiche Anbau- und Konsumformen geben wird, welche alle nicht mehr Raubbau betreiben dürfen und gleichzeitig 10 Milliarden Menschen ernähren können, wovon 75 % in Grossstädten leben werden. Die Wachstumsziele werden uns dabei von den Menschen selbst vorgegeben und die Armut in verschiedenen Regionen wird zu weiteren Völkerwanderungen und Konzentrationen von Menschen führen. Wir haben in unseren Modellierungen gesehen, dass wir, selbst wenn wir die Lebensmittelabfälle pro Person halbieren und den Fleischkonsum pro Person ebenfalls halbieren, eine Ernährung auf der Basis des Biolandbau nur möglich ist, wenn wir höhere Erträge erzielen. Die konventionelle Landwirtschaft hat zwar genügend Erträge, auch für 10 Milliarden,  aber sie muss den Dünger-, Pestizid-, Energie- und Wasserverbrauch massiv zurückfahren. Mich interessieren also auch diese produktiven, nachhaltigen Systeme jenseits von Bio, weil ich mich auch für alle die Menschen interessiere, die davon leben müssen.

 

Ich bin ein Mensch, der Fragen stellt und Lösungen sucht. Ich bin eher nicht ein Mensch, der überall schon Antworten hat. Hätten wir alle Antworten, dann hätten wir auch keine Probleme. Da ich die weltweite Forschungslandschaft relativ gut kenne, sehe ich auch, wie viele exzellente Forschende überall an Lösungen sind. Einige getrieben von Geld, andere von Idealismus. Der Idealismus ist dabei nicht einseitig verteilt.

 

Mit besten Grüssen,

 

Urs Niggli

 

 

 

 

Hans-Joachim Bannier

Obst-Arboretum und Obstbaumschnittschule Olderdissen (BIOLAND-Betrieb)

Dornberger Str. 197, 33619 Bielefeld
Tel.0521-121635, alte-apfelsorten@web.de

 

Mitglied der ökologischen Züchtungs-Initiative 'Apfel:gut'

Mitglied im Pomologen-Verein e.V.

Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V.

Vorstandsmitglied des Dachverbands Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V.
 

 

Offener Brief

 

An den Präsidenten des FIBL

Urs Niggli

Ackerstr. 13

CH- 5090 Frick

 

 

Betr. Ihr Interview zu gentechnischen Züchtungsverfahren in der Taz vom 6.4.2016

 

Sehr geehrter Herr Niggli,

in Ihrem Interview in der ‚taz’ vom 6.4.16 empfehlen Sie das gentechnische Verfahren CRISPR/Cas für die Züchtung neuer Sorten - auch für den Biologischen Anbau.

Als Betreiber eines Obstsorten-Arboretums sowie als Pomologe, der sich seit 25 Jahren mit (alten und modernen) Obstsorten beschäftigt und inzwischen selbst ein Projekt ökologischer Obstzüchtung mit initiiert hat, finde ich es empörend, in welcher Art und Weise Sie den Vertretern des Biologischen Anbaus unterstellen, diese seien nur aus irrationalen Ängsten heraus gegen die gentechnischen Verfahren und hätten ansonsten keine Argumente.

Dabei sind Ihre eigenen Argumente an ganz entscheidender Stelle oberflächlich recherchiert bzw. einfach falsch. So behaupten Sie, dass es quasi ganz normal bzw. naturgegeben sei, dass Resistenzen in neu gezüchteten Apfelsorten aus klassischer Kreuzungszüchtung nach wenigen Jahren wieder zusammenbrechen würden (und führen das als Argument für die Benutzung der CRISPR/Cas-Technik an).

Sie ignorieren, dass die schnellen Resistenzdurchbrüche beim Apfelschorf, die Sie erwähnen, ausschließlich bei denjenigen Apfelsorten aus klassischer Kreuzungszüchtung passiert sind, die auf monogenetisch verankerten Resistenzen des japanischen Wildapfels Malus floribunda basieren und deren übriges Erbgut (wie bei den meisten modernen Züchtungssorten) äußerst hohe Anfälligkeiten für Schorf, Mehltau, Virosen und sonstige Krankheiten aufweist.

Sie übersehen, dass - was ökologische Gesichtspunkte bei der Apfelzüchtung betrifft - schon in den vergangenen 80 Jahren etwas schief gelaufen ist und dass die gesamte moderne Züchtungsrichtung nur deshalb heute auf so stark krankheits-anfälligem Sorten-Erbgut beruhen konnte und beruht, weil die chemische Industrie seit ca. 1930 den Obstbauern weisgemacht hat, dass man sämtliche daraus entstehenden Probleme mit dem Einsatz chemischer Spritzmitteln lösen könne. Darüber gerieten ab den 1930er Jahren zahlreiche wirklich robuste (Obst-) Sorten in Vergessenheit. Die Apfel-Züchtung fokussierte - weltweit - ihr gesamtes Augenmerk ausschließlich auf ganze 5 Apfelsorten und deren Nachkommen (Golden Delicious, Cox Orange, Jonathan, McIntosh, Red Delicious), obwohl alle 5 zu den hoch krankheitsanfälligen Sorten zu zählen sind.

Und auch die Schorfresistenz-Züchtung der letzten Jahrzehnte hat sich leider nicht nach polygen resistenten Sorten umgeschaut, sondern war der Meinung, dass es ausreiche, das Problem mit der nachträglichen Einkreuzung der mono-genetischen Malus-floribunda-Schorfresistenz (in die modernen, ansonsten krankheitsanfälligen Sorten) zu lösen. Hierin liegt das Drama der heute zu beobachtenden Schorfresistenz-Durchbrüche (und nicht in der Kreuzungszüchtung als solcher)!

Die weltweite (konventionelle) Apfelzüchtung der vergangenen Jahrzehnte hat zu weitgehend Inzucht-ähnlichen Verhältnissen geführt. Aus der genetischen Vielfalt und Bandbreite früherer Apfelsorten wurde weltweit ein sehr schmaler „genetischer Flaschenhals“ selektioniert. Auch die massenhafte Einkreuzung des ‚Malus floribunda’ bei der Schorfresistenzzüchtung der vergangenen Jahrzehnte hat an der genetischen Verarmung moderner Apfelsorten nicht nur nichts geändert, sondern ihrerseits zu einer weitgehenden „Vereinheitlichung“ (und damit genetischen Verarmung) der mit dem Ziel der Schorfresistenz gezüchteten Sorten geführt. Diese genetische Verarmung macht es ihrerseits den Schorfpilzrassen in der Natur leichter, die Resistenzen innerhalb weniger Jahre im Feldanbau massiv zu durchbrechen.

Dass fast alle modernen Marktsorten im Apfelanbau inzwischen mit dem (allergenen) ‚Golden Delicious’ verwandt sind, ist – ganz nebenbei – auch der Grund dafür, dass Apfel-Allergiker kaum noch einen Supermarkt-Apfel vertragen. (Um Sorten zu finden, die für Allergiker essbar sind, benötigt es keine CRISPR/Cas-Gentechnik!)

Ich habe Ihnen zur Erläuterung des Gesagten einen wissenschaftlichen Artikel über die Geschichte der modernen Apfelzüchtung angehängt (siehe Anlage), den ich 2010/11 in der Zeitschrift 'Erwerbsobstbau' veröffentlicht habe.

Darin habe ich auch geschildert, dass es sowohl bei den alten Apfelsorten als auch bei diversen Neuzüchtungen aus klassischer Kreuzungszüchtung viele attraktive Sorten mit polygenen Resistenzen gibt, die über Jahrzehnte (und teilweise Jahrhunderte!) keineswegs zusammengebrochen sind und die sich auch für die weitere – ökologische – Züchtungsarbeit anbieten. Dass z.B. eine (gegenüber Schorf, Mehltau und Obstbaumkrebs) multi-resistente und hoch ertragreiche Apfelsorte wie der ‚Seestermüher Zitronenapfel’ den weltweiten Apfelzüchtern bis vor kurzem völlig unbekannt war, gehört ebenfalls zu der Crux heutiger Apfelzüchtung.

Anstatt in der Apfelzüchtung wieder zu einer genetischen Bandbreite zurückzufinden, die Basis aller stabilen Ökosysteme ist, empfehlen Sie – weil Ihnen das zu langwierig und teuer erscheint – dem Biologischen Anbau nun eine Züchtungstechnik, die manipulativ in das Erbgut der (ansonsten krankheitsanfälligen und genetisch verarmten) heutigen Sorten eingreift.

Sie verschweigen dabei, dass die auf dem Wege der CRISPR/Cas-Technik gezüchteten Sorten ihrerseits wiederum nur auf monogenetisch (oder vielleicht di- oder tri-genetischen) Resistenzen basieren, also ihrerseits auch wieder das Risiko von baldigen Resistenz-Durchbrüchen in sich tragen.

Ausdrücklich empfehlen Sie als „sinnvolle Anwendung“ der CRISPR/Cas-Gentechnik, „Resistenzgene aus der verwandten Wildpflanze wieder in moderne Sorten einzuführen“

Sie empfehlen also genau diejenige mono-genetische Strategie, die in der Apfelzüchtung in den letzten Jahrzehnten bereits weltweit praktiziert wurde (wenn auch nicht mit Gentechnik, sondern auf dem klassischen Wege der Einkreuzung des japanischen Wildapfels) und die gerade im Begriff ist, auf breiter Front zu scheitern. Das ist schon ein starkes Stück wissenschaftlicher Ignoranz!

Dass Sie gleichzeitig die Risiken der CRISPR/Cas-Methode so "kleinreden" als wäre das Risiko eines solchen Eingriffs in die DNA nichts anderes als das Risiko, das bei einer auf natürlichem (Kreuzungs-) Wege gezüchteten Sorte vorhanden sei, ist schon sehr verwegen und bleibt eine unbewiesene Wunsch-Behauptung. (Dieses Thema ist bereits von anderen ausgiebig diskutiert worden, daher will ich hier nicht weiter darauf eingehen).

Eine ökologische Züchtung ist gut beraten, wenn sie sich der historischen Wurzeln der modernen (Obst-) Züchtung bewusst wird und ihre Aufmerksamkeit wieder auf (in Vergessenheit geratene) polygenetisch (und deshalb stabil) gesunde Sorten mit großer genetischer Bandbreite und deren Weiterentwicklung richtet. Dass dieser Weg in der Obstzüchtung mühsam ist und Zeit dauern wird, ist unbestritten. Dass ein solcher Weg in den vergangenen 80 Jahren sträflich vernachlässigt wurde und Züchtungsfortschritte in Richtung polygen resistenter und vitaler Obstsorten in dieser Zeit nicht unternommen wurden, macht den einzuschlagenden Weg nicht schneller, aber umso notwendiger.

Der vermeintlich "schnellere" Weg der Gentechnik mag Ihnen da verlockender klingen. Er wird – was den Obstbau betrifft – die Probleme der Krankheitsanfälligkeit heutiger moderner Obstsorten aber nicht dauerhaft lösen. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass manipulative (und nicht in ökologischen Zusammenhängen denkende) Züchtungstechniken allenfalls kurzfristige Erfolge bewirken, die langfristig aber weder zu stabilen vitalen Sorten führen noch zu einer Einsparung von Pestiziden. Deshalb ist die CRISPR/Cas-Züchtung – ungeachtet ihrer sonstigen, noch zusätzlich entstehenden Risiken – keine langfristige Perspektive für den ökologischen Landbau und eine ökologische Sortenzüchtung, die diesen Namen verdient.

Was ich hier exemplarisch für den Bereich der Apfelzüchtung dargestellt habe, dürfte sich in ähnlicher Art und Weise bei der Züchtungshistorie anderer Kulturpflanzen sowie in der Tierzucht wiederfinden lassen. Sorten bzw. Rassen, die unter den Prämissen und für die Zwecke einer industrialisierten Landwirtschaft gezüchtet worden sind (und unter enger „Betreuung“ seitens der chemischen Industrie), sind manchmal völlig untauglich für die Biologische Landwirtschaft oder für die Landwirtschaft an naturräumlichen oder klimatischen „Grenzstandorten“. Die daraus entstehenden Probleme nun mit Gentechnik lösen zu wollen, statt sich wieder auf robuste und standörtlich und klimatisch angepasste Sorten und Anbauverfahren zu besinnen und der Natur ganzheitliche Lösungswege „abzuschauen“, hat mit ökologischem und ganzheitlichen Denken wenig zu tun.

 

Sehr geehrter Herr Niggli,

Sie sind exponierter Vertreter einer Organisation, die sich „Forschungsinstitut für den Biologischen Landbau“ nennt.

Statt sich nachdrücklich für eine fundierte ökologische Züchtung einzusetzen (und für höhere Forschungsgelder dafür), nutzen Sie diese Stellung, um publikumswirksam für die Nutzung gentechnischer Züchtungsverfahren zu werben.

Dabei vermengen Sie, was die Historie (zum Beispiel) der bisherigen weltweiten Obstzüchtung betrifft, Fakten in einer Weise, die ich für wissenschaftlich fragwürdig halte.

Die Risiken der CRISPR/Cas-Technik dagegen reden Sie klein, obwohl Sie zu den Risiken dieses Verfahrens heute noch keinerlei Aussagen treffen können. Makaber verharmlosend vergleichen Sie das Risiko von Eingriffen ins Genom einer Pflanze mit Rinderdünger, den die Viehzüchter früherer Jahrhunderte auch (ohne seinerzeit Risiken und Nutzen vorher abschätzen zu können) auf die Felder aufgebracht hätten. Dabei kann jeder Laie schon begreifen, dass eine im Genom manipulierte Kulturpflanze, einmal in die Natur entlassen, sich weltweit in andere Pflanzen bzw. Sorten derselben Art oder verwandter Arten (auch Wildarten) einkreuzen kann, und dass die Folgen der Genom-Manipulation – sollten sie sich später als schädlich erweisen – nicht mehr rückholbar sind. Mit dem Risiko eines auf dem Feld ausgebrachten Rinderdüngers ist das wohl kaum vergleichbar. 

Dass Sie das CRIPR/Cas-Verfahren auch noch als „demokratisch“ loben – angeblich kann sich jeder halbwegs begabte Hobbyzüchter schon den „Bausatz“ für die „Gen-Schere“ für kleines Geld im Internet bestellen – macht die Sache keineswegs sympathischer, sondern erweckt eher gruselige Assoziationen an Goethes ‚Zauberlehrling’.

Gleichzeitig äußern Sie sich dabei auch noch so, als hätten die Vertreter des Biologischen Anbaus ausschließlich „irrationale Ängste“ gegenüber der Gentechnik und keine sachlichen Argumente. Und das alles veröffentlichen Sie ausgerechnet in einem Moment, in dem die Europäische Kommission gerade über die Zulassungspflicht des gentechnischen CRISPR /Cas-Verfahrens zu entscheiden hat. Der Beifall der Gentechnik-Lobby ist Ihnen gewiss und erfolgte prompt (siehe: http://www.transgen.de/forschung/2564.crispr-genome-editing-pflanzen.html).

Damit fallen Sie der gesamten ökologischen Züchtung in einer Art und Weise in den Rücken, die fassungslos macht und die außerdem den Ruf des FIBL als Forschungsinstitut für den Biologischen Landbau nachhaltig schädigt.

Es mag sein, dass Sie aus bestimmten Wissenschaftlerkreisen jetzt Beifall erhalten. Zweifellos gibt es inzwischen zahlreiche Wissenschaftler, die die Natur vorwiegend nur noch aus der Labor-Perspektive betrachten und die an Pflanzen forschen, deren (Arten- und Sorten-) Vielfalt draußen sie kaum noch kennen (geschweige denn ökologische Zusammenhänge).

Wenn Sie selbst der Faszination der manipulativen gentechnischen Züchtungsverfahren und ihrer vielleicht kurzfristigen Erfolge derart erlegen sind, dass Sie hier Ihre neue Mission gefunden haben, dann sollten Sie vielleicht dorthin gehen, wo Sie dieser Mission am besten nachgehen können.

Aber dann machen Sie bitte Ihren Platz an der Spitze des FIBL frei für eine Person, die sich mit ganzem Herzblut für den Biologischen Landbau einsetzt - und dafür, dass die Züchtungsanstrengungen für eine ganzheitliche ökologische Züchtung erhöht werden!

Mit freundlichen Grüßen
Hans-J. Bannier

Anlage:  Hans-J. Bannier: „Moderne Apfelzüchtung: Genetische Verarmung und Tendenzen zur Inzucht“. Erwerbsobstbau, 4/2010 (26 S.).

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z.K. Apfelzüchtung.Genet_.Verarmung-u.Tendenz-z.Inzucht.Erwerbsobstbau-04.01.2011.pdf1.18 MB