Kulturpflanzenvielfalt - eine Beschreibung

zusammengestellt durch den Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V.

veröffentlicht zum Internationalen Tag der biologischen Vielfalt am 22. Mai 2023

Unsere Beschreibung von Kulturpflanzenvielfalt wird getragen von Akteur:innen, die ehrenamtlich oder beruflich im Bereich der traditionellen Sortenvielfalt von Gemüse, Obst, Getreide und anderen Nutzpflanzen arbeiten.

Wir teilen die Überzeugung, dass die traditionelle Sortenvielfalt eine grundlegende Bedingung für Agrobiodiversität, Saatgutsouveränität und Nahrungssicherheit ist und dass Sorten aufgrund ihrer Entstehung aus bäuerlicher Arbeit ein kulturelles Gemeingut darstellen.

Unsere Ziele

  • Erhalt, Entwicklung und Erweiterung einer breiten Sortenvielfalt von Kulturpflanzen in den verschiedenen Regionen der Welt und dies besonders im Bereich der Nahrungspflanzen
  • Dynamische, evolutive on farm Prozesse der Saatgutvermehrung im Bereich von Gemüse und Getreide, in denen sich die Kulturpflanzen kontinuierlich an regionale Gegebenheiten und an ökosystemische Veränderungen anpassen können
  • Regionale Sortenvielfalt im Bereich des Obstes, die eine große Bandbreite von Blüh- und Erntezeitpunkten, Verwendungsmöglichkeiten, Lagereigenschaften und Geschmacksrichtungen, sowie eine ökologische Regulierung von Schadorganismen ermöglicht
  • Unabhängigkeit und Selbstversorgung der verschiedenen Regionen der Welt in Bezug auf in ausreichender Quantität und Qualität verfügbarem traditionellem Saat- und Pflanzgut

Unsere Vision

Für nachhaltige, krisensichere Ernährungssysteme unabdingbar sind eine Vielfalt an Kulturpflanzenarten und -sorten wie auch diversifizierte, dezentrale und gemeinschaftliche Ansätze von Erhaltung und Anbau. Kreislaufwirtschaft auf der Basis von lokalem Saatgut sichert nicht nur die Ernährung, sondern fördert auch lokale Märkte und sozialen Zusammenhalt.

Untrennbar von einer breiten auf lokalen Sorten basierenden Kulturpflanzenvielfalt ist die Arbeit der vielen Menschen, die sich um sie kümmern, sowie das Fachwissen, das sie anwenden, erweitern und weitergeben, indem sie sich miteinander vernetzen.

Die Arbeit der Erhalter:innen der Kulturpflanzenvielfalt dient dem Gemeinwohl, nicht nur heute, sondern auch auf lange Sicht. Wir gehen davon aus, dass diese wichtige Arbeit von Gesellschaft und Politik anerkannt, gewürdigt und aktiv gefördert werden muss, und wünschen uns, dass diese Förderung in Form von konkreten Maßnahmen erfolgt.

Unser Ansatz

Wir arbeiten mit "traditionellen Vielfaltssorten", die wir folgendermaßen definieren:

Sorten und Kultivare von Getreide, Obst und Gemüse und anderen Kulturpflanzen, die

  1. aus traditionellen, nicht biotechnologischen Züchtungsmethoden entstanden sind und
  2. sich gut für den Anbau in extensiven agroökologischen Systemen eignen, und
  3. mit traditionellen handwerklichen Methoden sortenecht über Saatgut vermehrbar sind (Gemüse),
  4. als Populationen eine breite genetische intravarietale Vielfalt aufweisen und sich on farm weiterentwickeln und kontinuierlich an lokale Gegebenheiten anpassen (Getreide und Gemüse) oder
  5. als Klonsorten oder als Selbstbefruchter zu einer intervarietalen Vielfalt beitragen (Obst, Kartoffeln, bestimmte Gemüsearten).

Sie können als regionale Sorten zur Sortenvielfalt beitragen.

Nicht nur alte, sondern auch neu gezüchtete Sorten, wenn sie den genannten Kriterien entsprechen, sind Vielfaltssorten.

Den Begriff „traditionell“ verstehen wir in diesem Zusammenhang als die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bei der Saatgutvermehrung, on farm Entwicklungsprozessen, Saatguttausch und -handel sowie bei der Weitergabe von Wissen und Erfahrungen.

Nach unserem Verständnis sind traditionelle Vielfaltssorten nicht nur genetisches Ausgangsmaterial für die Pflanzenzüchtung, sondern vielmehr die Grundlage für regionale Vielfalt, sowie für Anpassungsfähigkeit und kontinuierliche on farm Entwicklungsprozesse der Kulturpflanzen.

Vielfaltssorten, die sich aufgrund ihrer genetischen Bandbreite im on farm Anbau sowohl spontan wie auch langfristig an regionale Standortbedingungen und klimatische Veränderungen anpassen können, bilden eine wichtige Grundlage für krisensichere und nachhaltige Ernährungssysteme.

Die Erhaltung der genetischen Vielfalt der Kulturpflanzen in Samenbanken (ex situ) ist notwendig, sie hat aber nicht denselben Wert wie der on farm Anbau mit seinen ökosystemischen Entwicklungsprozessen und der Vermarktung von Vielfaltsprodukten. Wir sprechen von "lebendiger Vielfalt".

Untrennbar von dieser lebendigen Vielfalt sind sowohl die AkteurInnen als auch das notwendige fachliche Wissen. Gerade das persönliche Engagement der VielfaltserhalterInnen, der fachliche und menschliche Austausch zwischen ihnen sowie die Weitergabe ihres Wissens machen ihr Saat- und Pflanzgut zu einem Kulturgut und Erbe der Menschheit.

Gemäß unserem Verständnis können genetisch einheitliche Industriesorten, die in weit vom landwirtschaftlichen Kontext entfernten zentralen Züchtungsbetrieben entstehen, nicht den unabdingbaren Voraussetzungen für eine nachhaltige und krisensichere Kulturpflanzenvielfalt gerecht werden:
- Genetische inter- und intravarietale Vielfalt,
- Kontinuierliche und fortschreitende ökosystemische Entwicklungsprozesse,
- Erhalt, Entwicklung und Weitergabe von Wissen und praktischer Erfahrung.

Unsere Forderungen an die Politik

Die Kulturpflanzenvielfalt kann allein von Saatgutfirmen und Samenbanken nicht erhalten werden. Gerade die in der on farm Erhaltung spezialisierten kleinen Betriebe, Vereine und EinzelakteurInnen spielen eine wichtige Rolle bei der Erhaltung, der Entwicklung und der Erweiterung der traditionellen Kulturpflanzenvielfalt.

Wir haben konkrete Vorstellungen, wie dieser Bereich gefördert werden sollte und sehen dabei folgende große Themen:

  • Garantiertes Recht auf Saatgut: Saatgutsouveränität und -autonomie der Regionen der Welt ist die beste Grundlage für eine breite, entwicklungsfähige und nachhaltige Kulturpflanzenvielfalt. Der Artikel 19 der UNDROP beschreibt in umfassender Weise das Recht auf Saatgut. Die dort festgeschriebenen Verpflichtungen müssen von allen Unterzeichnerstaaten erfüllt werden, damit unabhängige bäuerliche Saatgutsysteme, Initiativen zur biologischen Pflanzenzüchtung, Saatgutnetzwerke und individuelle ErhalterInnen in Industrie- und Entwicklungsländern ungehindert ihren Beitrag zur Kulturpflanzenvielfalt leisten können.
  • Befreiung von Vorschriften: Die Leistung von Betrieben und Vereinen für Naturschutz, Volksbildung und Pflanzenzüchtung wird als gemeinnützig anerkannt. Rechtliche und verwalterische Anforderungen an Saatgutverkehr und Pflanzengesundheit, die in erster Linie für Industrie und Handel gelten sollen, können für die Weitergabe kleiner Mengen und die Erhaltung der Vielfalt stark erschwerend wirken. Daher müssen spezialisierte kleine Betriebe, Vereine und EinzelakteurInnen, die in der on farm Erhaltung der traditionellen Kulturpflanzenvielfalt tätig sind,  von Vorschriften ausgenommen werden.
  • Finanzielle Förderung: Bei der Erhaltung der traditionellen Kulturpflanzenvielfalt gibt es Situationen, in denen ein wirtschaftliches Auskommen durch den Verkauf von Vielfaltssorten oder durch Dienstleistungen rund um die Vielfalt nicht erreicht werden kann. Die Neuzüchtung von frei zugänglichen, nicht eigentumsrechtlich geschützten Sorten und die nicht in erster Linie kommerziell ausgerichtete Vermehrung von Saatgut brauchen eine Unterstützung mit öffentlichen Geldern, damit die in diesen Bereichen aktiven AkteurInnen ein Auskommen haben können.

 

Politische Absichtserklärungen und Abkommen auf EU-Ebene und weltweit

  • ITPGR-FA: Internationaler Saatgutvertrag, der die bäuerliche Leistung für die Nahrungspflanzenvielfalt würdigt und ihr Recht auf Saatgut nennt und definiert.
  • UNDROP: Artikel 19 zum Recht auf Saatgut sowie die inhaltlich verbundenen Artikel 5, 11, 15, 16, 18, 20, 25, 26
  • Green Deal: EU-Farm-to-Fork Strategie, Punkt 2.1. und Biodiversitätsstrategie Punkt 2.2.2. mit Bezug auf traditionelle, lokal angepasste Sorten.

 

 

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Beschreibung Kulturpflanzenvielfalt 22.5.2023.pdf970.86 KB
Description biodiversité cultivée 22-05-23.pdf190.78 KB